Über den Einsatz freier und offener Software an der Universität (Teil 1)

Der folgende Beitrag wurde von Benjamin Angerer, Mitarbeiter im Projekt UOS.DLL, für unsere Blog-Kategorie „Meinungen und Haltungen“ verfasst.

Ist kommerzielle Software wie Zoom, MS Office, Slack und Outlook an der Uni wirklich ein Problem – oder machen hier Idealisten und Bürokraten allen anderen das Leben schwerer als es sein müsste? Folgt man der aktuellen medialen Debatte um den Einsatz kommerzieller Software an öffentlichen Einrichtungen, gewinnt man schnell den Eindruck, dass das Hauptargument gegen deren Einsatz – und damit auch das Hauptargument für den Einsatz freier und offener Lösungen („Free and Open Source Software“, kurz FOSS) – der Datenschutz ist, insbesondere dessen vielbeschworene Verkörperung in Form der europäischen Datenschutzgrundverordnung. Während das durchaus eine wichtige Debatte ist und datenschutzrechtliche Bedenken den Einsatz mancher kommerziellen Lösungen auch zurecht verunmöglichen, soll es in diesem kurzen Artikel um andere Aspekte freier und offener Software gehen. Denn es gibt noch viele andere gute Argumente für deren Benutzung.

1. Die Kosten

Ein schlichter, aber bei der stets knapp bemessenen öffentlichen Hand umso wichtigerer Punkt ist: Kommerzielle Software kostet mehr. Insbesondere die immer häufiger werdenden Abo-Modelle kommerzieller Anbieter, die den einmaligen Kauf von Softwarelizenzen durch jährliche Nutzungskosten ersetzen, lassen die Kosten dabei in die Höhe schnellen. Zwar muss auch beim Einsatz freier und offener Alternativen bedacht werden, dass Einrichtung, Support, Schulungen, technische Begleitung des Betriebs und Entwicklung Kosten mit sich bringen, aber insgesamt liegen diese dennoch weit unter denen der weit verbreiteten kommerziellen Anbieter. So erwartet beispielsweise das Land Schleswig-Holstein für den Umstieg der Verwaltung von Microsoft-Lösungen auf LibreOffice eine Ersparnis von 6,8 Mio. € bis zum Jahr 2025, gefolgt von einer jährlichen Ersparnis von 1,7 Mio. € ab 2025 (Näheres hierzu). Zur reinen Kostenersparnis hinzu gilt es zu bedenken, dass die Investition in freie und offene Software nachhaltig ist, in dem Sinne, dass Fehlerbehebungen und Weiterentwicklung der Allgemeinheit zugutekommt, statt auf die Kundschaft eines bestimmten Privatunternehmens beschränkt zu bleiben.

2. Einseitige Abhängigkeiten und Interoperabilität

Gerade in Bereichen, in denen eine kommerzielle Lösung marktbeherrschend ist, denkt man selten darüber nach, dass deren Datenformate von alternativen Lösungen möglicherweise nicht verarbeitet werden können, da Interoperabilität von Seiten der Hersteller aus Gründen der (Quasi-)Monopolsicherung unerwünscht ist. Ebenso wenig scheint es im Alltag vorstellbar, dass etablierte Produkte vom Markt verschwinden oder von anderen, neuen Lösungen verdrängt werden. Nutzer*innen, die schon länger mit Computern arbeiten werden sich allerdings vielleicht noch an Produkte wie Lotus 1-2-3 oder WordPerfect erinnern, die im Zeitraum ihres jeweiligen Erfolges just so unumgänglich schienen wie es z.B. Microsoft Office heute tut. Die starke einseitige Abhängigkeit (Stichwort „vendor lock-in“), in die sich Nutzer*innen damit begeben haben, wurde ihnen dabei oft erst dann klar, als das Produkt an Marktmacht verlor oder gar plötzlich eingestellt wurde. Die Migration von Daten, Vorlagen usw. musste dabei nicht selten von Hand erfolgen und erzeugte erheblichen Aufwand. Demgegenüber ist die Kompatibilität zu anderen offenen Dateiformaten bei freier und Open-Source-Software nicht nur möglich, sondern sogar erwünscht. Die Spezifikationen von Datenformaten sind oft gut dokumentiert und frei zugänglich. Das schließt Unternehmungen wie das „Document Liberation Project“ mit ein, deren Bemühungen eine Vielzahl von undokumentierten Datenformaten eingestellter oder veralteter kommerzieller Software wieder zugänglich gemacht hat.

Über die Frage der Interoperabilität hinaus begeben sich Universitäten – gerade wenn Lösungen nicht mehr als lokal installierbare Softwarepakete, sondern als auf den Servern des Anbieters laufende externe Dienstleistungen angeboten werden – in eine weitere gefährliche einseitige Abhängigkeit. Entsteht auf den Servern des Anbieters ein technisches Problem – so wie es kürzlich beispielsweise mit den Produkten von Facebook passiert ist – kann der technische Support der Universität wenig ausrichten. Der Betrieb freier und offener Lösungen auf den eigenen Servern dagegen bedeutet demgegenüber zwar einen gewissen Mehraufwand, aber dafür wird dieser auch mit einem entsprechend größeren Handlungsspielraum im Falle von Problemen entlohnt.

3. Von der reinen Nutzung zur Teilhabe

Das Potential von freier und Open-Source-Software beschränkt sich dabei nicht nur auf den Umgang mit technischen Problemen. Durch die Möglichkeit, sich an der Entwicklung der Software zu beteiligen, sei es indirekt durch Fehlerberichte, Kommunikation von Nutzer*innen-Wünschen oder auch direkt durch von Universitätsmitarbeiter*innen geleistete Entwicklungsarbeit, gewinnt die Universität große gestalterische Freiräume. Dass es einigen Open-Source-Projekten dabei immer noch an einer hinreichenden Zahl an Entwickler*innen mangelt, um mit etablierten kommerziellen Projekten zu konkurrieren, kann dabei kein Argument dagegen sein, sondern zeigt vielmehr das Entwicklungspotential, das Universitäten freisetzen könnten, wenn sie auch nur einen Teil des Geldes, den sie beim Verzicht auf teure kommerzielle Software sparten, in die nachhaltige Entwicklung von freier und offener Software investieren würden. So zeigt beispielsweise die durch die Pandemie befeuerte rasante Entwicklung und die dementsprechend groß gewordene Community an Nutzer*innen und Entwickler*innen des auch von unserer Universität genutzten Konferenztools BigBlueButton eindrücklich beide Seiten dieser Medaille. Einerseits gibt es durchaus noch Baustellen, an denen BigBlueButton der einen oder anderen kommerziellen Lösung nachsteht, andererseits hat seine starke Verbreitung in den letzten anderthalb Jahren bereits enorme Entwicklungsfortschritte mit sich gebracht. Lehrenden, die BigBlueButton zu Beginn der Pandemie einmal ausprobiert und für untauglich gehalten haben, kann nur ans Herz gelegt werden, sich den aktuellen Stand noch einmal anzusehen und ihre Entscheidung zu prüfen!

Viele weitere Argumente lassen sich noch diskutieren, nur soll es an dieser Stelle erst einmal genügen. Nachdem dieser Artikel primär auf die Perspektive der Institutionen eingeht, soll es in einem zukünftigen zweiten Teil vorrangig um die Frage des Einsatzes freier und offener Software aus Sicht der Lehre gehen.